Die neue Normalität im Konferenzwesen

Giesserei-Fachzeitschrift, Oktober 2020
Stühle 1,5 Meter auseinander, Maskenpflicht und regelmäßige Desinfektion: Die Teilnahmeregeln in Portoroz hatten es in sich (Foto: Slowenische Gießereivereinigung).


Unter strengen Hygienebedingungen hat in Slowenien Mitte September eine der weltweit ältesten Gießereikonferenzen unter dem Motto Tradition und Zukunft stattgefunden. 

VON ROBERT PITEREK, DÜSSELDORF

Es ist nicht leicht, dieser Tage eine Konferenz für Gießereitechnik zu veranstalten, weil es vor allem an einem fehlt: der Planungssicherheit. Denn rings um das slowenische Portorož, dem ehemaligen Salzmekka der Venezianer an der Adria unweit der italienischen Hafenstadt Triest und jetzigem Tagungsort, sprießen zum Herbstanfang Corona-Hotspots wie Pilze aus der Erde und erinnern an den Beginn der Pandemie im März. Zuerst wurde der Süden von Sloweniens Nachbarland Kroatien zum Risikogebiet erklärt, dann folgte Österreichs Hauptstadt Wien.

Die Teilnehmer der jährlichen „International Foundry Conference“ (IFC), die zum 60. Mal seit 1960 stattfand, schreckte das wenig. Noch nicht einmal die Corona-gebeutelten Österreicher vom Österreichischen Gießerei-Institut (ÖGI), die traditionell jedes Jahr mit dabei sind und auch „heuer“ wieder einen Teil des Vortragsprogramms bestritten, blieben fern.

Ein Restrisiko bleibt

Doch wie kann eine Präsenzveranstaltung mitten in der Corona-Krise verantwortungsvoll abgehalten werden? Ebenso wie auch die Pressekonferenzen im Bundeskanzleramt: Stühle 1,5 Meter auseinander, Maskenpflicht, regelmäßige Desinfektion und Abstand halten. Ein Restrisiko bleibt selbstverständlich – aber das ist ja auch bei uns nicht anders, wo die Infektionszahlen gerade wieder ansteigen. Dennoch: Planungssicherheit für die Organisatoren ist etwas anderes. Und so war die Veranstaltung dieses voraussichtlich einzigen verbliebenen Präsenz-Events für Gießer in diesem Jahr auch nervenaufreibender als sonst, wenngleich Organisatorin Mirjam Jan-Blazic, Chefin der Slowenischen Gießereivereinigung, sich davon nicht viel anmerken ließ.

Beim Gießerabend im Restaurant Medusa gegenüber dem Kongresszentrum versicherte sie vor rund 100 Gießern (offizielle Teilnehmerzahl 172) aus zwölf verschiedenen Ländern nach der Schilderung der Konferenzgeschichte, dass jeder im Falle des Falles sein Geld zurückbekommen hätte. Später schnitt sie erleichtert die Schokoladentorte mit dem Schriftzug IFC 60 an und machte in Gedanken voraussichtlich drei Kreuze, dass die Feierlichkeiten für die Traditionskonferenz nun wie geplant stattfinden konnten.

Ehrenmedaillen zur 60. IFC

Dieser Szene vorausgegangen war der erste Tag der Konferenz mit zahlreichen interessanten Podiumsvorträgen und der Verleihung von Ehrenmedaillen zur 60. IFC an Prof. Peter Schumacher, Montanuniversität Leoben, Gerhard Schindelbacher, ÖGI, Dr. Konrad Weiß, RWP, Prof. Reinhard Döpp, ehemals TU Clausthal sowie Prof. Alojz Krizman, Universität Maribor, und Martin Debelak von der Slowenischen Gießereivereinigung.

Die Dankesrede von Prof. Döpp im Anschluss geriet überraschend kurz, seine Freude über die vielen Jahre der Teilnahme und Begegnung in Portorož und seine Begeisterung für die Zukunftstechnologie Gießen kam dafür umso authentischer und sympathischer bei den Zuhörern an. Die Besprechung jedes der 33 Vortragsthemen sprengt den Rahmen eines Tagungsberichts. Unter den Vorträgen fanden sich jedoch einige Perlen mit hoher technologischer Bedeutung und neue Verfahren, die mit Blick auf den Wandel in der Branche durchaus erwähnenswert sind. Zudem zeigten Gespräche am Rande der Konferenz, wie es um die wirtschaftliche Lage, insbesondere der Gießereizulieferer, bestellt ist.

Aus Deutschland angereist waren vor allem Schmelz-, Prüf- und Mess- sowie Simulations- und 3-D-Technikhersteller. Sie referierten in den beiden Vortragssälen und betreuten Stände auf der begleitenden Fachausstellung mit insgesamt 26 Firmenständen. Von Wissenschaftsseite her waren mehrere Vertreter der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg gekommen, die sowohl zwei der Vorträge hielten als auch Organisatorin Jan-Blazic am Gießerabend ein gerahmtes Zertifikat und eine Packung Magdeburger Halbkugeln für 60 Jahre IFC überreichten. Ihr Professor Rüdiger Bähr sowie Prof. Andreas Bührig-Polaczek vom Gießerei-Institut der RWTH Aachen hatten sich in diesem Jahr entschuldigen lassen. Gekommen waren aber zwei prominente Absolventen der renommierten Hochschule in Aachen: RWP-Geschäftsführer und Simulationspionier Dr. Konrad Weiß und MAGMA-Geschäftsführer Dr. Jörg Sturm.

Simulation als Hebel für Industrie 4.0

Dr. Weiß bestritt den eröffnenden Podiumsvortrag. Er spannte mit seinem Vortrag „Foundry Technology – from History to Future“ den Bogen vom Beginn der 5000 Jahre alten Gießereihistorie bis in die Neuzeit, zeigte Bilder aus Gießereien früherer Tage, in der mit viel „Manpower“ gegossen wurde, sprach die Mechanisierung mit Formanlagen an und endete mit seinem Überblick zielsicher bei den Themen Simulation und Industrie 4.0. Ein Bild zeigte Konrad Weiß vor einem Computer in den 1980er-Jahren – der Gründerzeit der Simulation. Später zeigte ein Film-Einspieler eine Animation der Gießerei GCIF Precision Casting in Peking, in der ab Ende 2021 jährlich 2,5 Mio. Pumpengussteile mit nur zwölf Mitarbeitern produziert werden sollen. „4.0 wird die Arbeit machen“, so Weiß, der GCIF berät, „und das alles ist nur möglich durch Simulation“. Ein Vortrag, der Branchenneulingen einen guten Zugang zur Technologie bot. Die moderne Gießerei soll Jugendliche auch zurück in die Branche bringen, so Weiß‘ Vision.

Während die Präsentation von Dr. Weiß die Simulation im historischen Zusammenhang darstellte, zeigte Dr. Sturms Vortrag ihre konkreten Vorteile bei der Kernherstellung: Weil im Gegensatz zum Gussteil Porosität beim Kern wichtig ist, sei zur Repräsentation des Kernschießprozesses sowohl die Simulation des Luftstroms als auch des Verhaltens des körnigen Materials erforderlich. Durch diesen virtuell hergestellten Kern kann die Qualität reproduzierbar verbessert und der Kernkastenverschleiß vorhergesagt werden. Mit Sensoren in der Kernschießmaschine sei zudem ein Vergleich mit der konkreten Produktionssituation möglich. Die Maschine könne so in die Lage versetzt werden, die richtigen Prozessbedingungen für eine reproduzierbar Kernproduktion zu „erlernen“. Während die konkreten Vorteile durch den Einsatz von Sensoren hier auf der Hand liegen, machte Dr. Sturm in der Pause deutlich, dass bei der Simulation der verschiedenen Fertigungsschritte häufig „zu viele Parameter gemessen werden, die für das Werkstoffverhalten oder die Charakterisierung des Prozesses gar nicht wichtig sind“ – ein Seitenhieb auf überambitionierte Entwicklungen bei der simulationsgestützten Digitalisierung von Gießereiprozessen.

Wie breit gefächert die Angebotspalette dieser noch vergleichsweise jungen Technologie heutzutage ist, zeigten zahlreiche weitere Vorträge auf der Konferenz. Präsentiert wurden die Ergebnisse von Simulationen beim Schleudergießverfahren mit zwei unterschiedlichen Eisenschichten, bei der Optimierung dünnwandiger EN-GJL-200-Gussteile, beim Druckgießen im Allgemeinen und bei der Abkühlungsoptimierung von Druckgussteilen. Der letztgenannte Vortrag wurde von Wissenschaftlern der Universität Ljubljana sowie einer slowenischen Druckgießerei präsentiert.

Auf jeden Einwohner kommen 95 Kilo Guss

Wenngleich Slowenien mit zwei Millionen Einwohnern zu den kleinen EU-Staaten gehört, ist seine Gießerei-Industrie vergleichsweise groß und kann auf eine jahrtausendealte Tradition zurückblicken. Wie Prof. Alojz Krizman von der Universität Maribor – neben der Universität Ljubljana IFC-Mitorganisator – in seinem Podiumsvortrag betonte, ist die Produktionsmenge je Einwohner in keinem Land der Erde höher. Sie liegt bei 95 Kilogramm.

Auch das Tagungsprogramm unterstrich die hohe Bedeutung der Gießereitechnik für Slowenien. Wissenschaftler der Universitäten Ljubljana und Maribor bestritten Vorträge über Feuerfestmaterialien, Nanotechnik beim Gießen, Legierungsentwicklung und Digitalisierung. Vertreter slowenischer Gießereien, die bis auf das Magnesiumgießen alle Fertigungsprozesse abdecken, beteiligten sich zudem rege an Vorträgen oder mischten sich unters Publikum.

Bei den Kaffeepausen auf der Terrasse mit Blick auf die Bucht entwickelten sich schnell Gespräche mit angereisten Ausstellern und Teilnehmern. Etwa mit Oliver Schmitz, Vertriebsleiter der schwedischen Firma Pour-Tech, die automatische Gießsysteme baut und mit dem Vortrag über einen KI-gesteuerten Gießautomaten von Michael Colditz auch einen bedeutenden Beitrag zum Tagungsprogramm beisteuerte. Schmitz sieht Licht und Schatten in der Corona-Krise für sein Unternehmen. Zum einen sei das deutsche Geschäft überraschend gut gelaufen und habe über Videoschalten gut aufrechterhalten werden können, zum anderen sei die Akquirierung von Neugeschäft schwierig, denn „wer gibt einem schon eine Million in die Hand, den er nicht kennt“. Vertrauen sei über den Bildschirm nur schwer aufzubauen. Da tröstet es nur wenig, dass hohe Reisekosten eingespart werden konnten. Highlight in diesen Zeiten war die Online-Inbetriebnahme einer Anlage in Mexiko, die per Video und Webschulungen komplett online durchgeführt werden konnte.

Innovationen – von LightMe zu Maximolding

Im Bereich der Legierungsentwicklung für Leichtmetallkomponenten widmete sich Prof. Peter Schumacher von der Montanuniversität Leoben einem zukunftsträchtigen Thema: Der Verstärkung der Metallmatrix von Aluminium- und Magnesiumlegierungen durch Nanopartikel. Hierdurch kann auf eine energieintensive Wärmebehandlung verzichtet werden. Schumacher stellte in diesem Zusammenhang das Projekt LightMe vor, mit dem das Verfahren in den Fertigungsablauf in Gießereien eingebracht werden soll.

Besonders interessant – weil bislang wenig bekannt – war der Vortrag von Ashley Stone von der Jacobsen Real-Time X-Ray Machinery Inc. aus Kanada. Er stellte sein Maximolding-Verfahren vor, bei dem eine halbfeste Magnesiumschmelze mit einer Anlagenkombination aus einer Kaltkammerdruckgieß- und einer Spritzgießmaschine vergossen wird. Spezielle Chips aus der Legierung AS91D werden in einer vertikal angeordneten Kammer direkt an der Maschine geschmolzen und dann mit 540 °C abgegossen. Stones Ziel ist zum einen Energieeinsparung durch das Schmelzen und Behandeln direkt an der Anlage, zum anderen der Qualitätsgewinn durch das porositätsfreiere Vergießen halbfester Schmelze. Wenngleich er nach eigenen Angaben bei Verhandlungen mit Tesla abgeblitzt ist, verfolgt er noch ein weiteres Ziel: Die Fertigung eines kompletten E-Autos mit dem Maximolding-Verfahren.

Nach zwei langen Konferenztagen ging die Veranstaltung am Nachmittag des 18. Septembers zu Ende. „Es gibt nichts, was nicht möglich ist. Das hat die diesjährige 60. International Foundry Conference gezeigt“, so Mirjam Jan-Blazic. Die letzte Anspannung dieser außergewöhnlichen Konferenz wird allerdings erst Ende September von ihr abfallen, verrät die seit 15 Jahren amtierende Verbandschefin und frühere Generaldirektorin von LTH Castings, einer der größten Druckgießereien im ehemaligen Jugoslawien und Slowenien. „Wenn zwei Wochen nach der Konferenz niemand erkrankt ist, war die Veranstaltung ein Erfolg“, resümiert sie. Verantwortung bis zuletzt – das macht eine Konferenz in Pandemiezeiten aus!