Galvanotechnik – eine Branche zwischen Zuversicht und Zweifel

Deutschland und Europa stehen heute im Spannungsfeld einer neuen Geopolitik: Die Globalisierung wird zum Teil rückabgewickelt (Foto: stock.adobe.com/ Siarhei)


Die aktuelle Ausgangslage für die Galvano- und Oberflächentechnik und die energieintensive Industrie ist durchwachsen, denn neue Geopolitik und industrielle Transformation schaffen viel Unsicherheit und Anpassungsbedarf. Die Branche ist gefordert – sollte die Herausforderungen durch Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende aber auch als Chance begreifen.

von Robert Piterek

Das Gespenst der Deindustrialisierung geistert wieder herum in Deutschland. Anlass sind überwiegend die hohen Energiekosten, aber auch die häufig als überzogen gebrandmarkte Klimapolitik, regulatorische und behördliche Hemmnisse und nicht zuletzt die schwächelnde Demographie, die sich im Fachkräftemangel niederschlägt. Zugleich polarisiert die Ampelregierung mit gesetzgeberischem Aktionismus, etwa mit den Wärmepumpen im neuen Gebäudeenergiegesetz, dem geplanten Industriestrompreis und den Weichenstellungen für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

Der industrielle Mittelstand fühlt sich angesichts der Vielzahl an Projekten überrollt, fürchtet (noch) höheren Bürokratieaufwand sowie – sollte der Industriestrompreis kommen – eine Bevorzugung der großen Unternehmen und damit eine Wettbewerbsverzerrung. Die Lage ist von Unsicherheit geprägt, daher bleibt die Investitionstätigkeit bis auf Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz niedrig, während die Zweifel am eingeschlagenen Kurs und der Groll auf die Gängelung durch die Politik und EU-Institutionen wachsen. Die Vorbehalte sind aber auch groß, weil Energie-, Mobilitäts- und Wärmewende auf Jahrzehnte angelegte Projekte sind, die gigantische Summen verschlingen und deren Umsetzung gemäß des straffen Zeitplans auf tönernen Füßen steht. Schließlich hat ja auch der Berliner Flughafen BER Unmengen an Geld und Zeit verschlungen – und das Ansehen, nicht nur des deutschen Projektmanagements, im In- und Ausland beschädigt. Zweifel sind also verständlich angesichts der Größe der Herausforderungen. Deutschland hat aufgrund seines verhältnismäßig großen Industrieanteils am Bruttosozialprodukt viel zu verlieren.

Schwierige Lage ist nicht nur hausgemacht

Rekapitulieren wir noch einmal, wie es zu der aktuellen Lage kommen konnte: Mit Putins Krieg gegen die Ukraine ist das Kalkül, günstiges Gas als Brücke zur Klimaneutralität sicherzustellen, geplatzt. Entgegen der angestrebten Klimaziele wird in Deutschland jetzt Fracking-Gas importiert, das auf bedenkliche Weise gewonnen wird, und ein erhöhter Anteil an Kohlestrom sowie Energieimporte auch von Atomstrom hingenommen. Folge: Höhere Strom- und Gaspreise. Der Krieg und das rasante Wachstum Chinas haben zudem die geopolitische Lage auf den Kopf gestellt. Während seit Anfang der 1990er-Jahre die Globalisierung die Weltwirtschaft prägte und die deutschen Exporte auf neue Höhen trieb, wird die industrielle Globalisierung heute in Teilen wieder rückabgewickelt, wie der Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Henrik Müller im Spiegel schreibt.

Der große weltweite Markt schrumpft: Russland ist außen vor, China und andere Staaten werden zunehmend zu Konkurrenten auf der weltwirtschaftlichen Bühne, weil sie heute selbst Autos und Maschinen produzieren und sich rasant von Schwellen- zu Industrieländern entwickeln. Die Konkurrenz zwischen den westlichen Industriestaaten nimmt derweil zu: Der sogenannte Inflation Reduction Act der USA, ein riesiges Subventionspaket für grüne Technologien, soll innovative Unternehmen aus Europa abwerben und zielt letzten Endes auf Wettbewerbsvorteile der USA bei der Transformation und Neu­aufstellung von Wirtschaft und Industrie in der veränderten Welt ab – zum Nachteil Deutschlands und Europas.

Beeinflusst von allen genannten Faktoren, hat sich auch das Denken in den Chefetagen deutscher Unternehmen geändert. Geprägt durch die gerissenen Lieferketten in der Coronazeit und zu Beginn des Ukrainekriegs ist heute eine wachsende Tendenz zur Resilienz zu beobachten. Unternehmen wollen sich gegen Lieferengpässe wappnen, berücksichtigen bei ihrer strategischen Neujustierung aber auch künftige klimapolitische Notwendigkeiten. Schließlich ist die Klimabilanz bald Pflicht und da geht es nicht nur um den CO2-Fußabdruck des eigenen Unternehmens, sondern – in Scope 3 – auch um den der Lieferanten.

Die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denen sich die Unternehmen heute ausgesetzt sehen, sind also nicht nur hausgemacht, sondern ergeben sich auch aus verschobenen globalen Rahmenbedingungen. Und das tangiert auch die Galvano- und Oberflächentechnik, denn neben den konkreten Produktionsbedingungen vor Ort ist ihr Erfolg als wichtige Zulieferbranche auch vom deutschen Export abhängig.

Energieintensive Industrie steht unter Druck

Von der Makroökonomik zurück in den Wirtschaftsraum zwischen Oder und Rhein. Wie ist die Lage der energieintensiven Industrie und der Galvano- und Oberflächentechnik wirklich? Bei Letzterer ist zum einen die weiterhin recht gute wirtschaftliche Entwicklung zu nennen. Als Querschnittstechnologie sind die Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik häufig in mehreren Wirtschaftsbereichen aktiv: Armaturen, Uhren, Automobilkom­ponenten, Schmuck, Elektronik, Batterien und Solarzellen. Die Liste an möglichen Kundenbranchen ist ellenlang und so ist auch die Auftragslage vielerorten weiterhin gut. Und das obwohl der Preisdruck deutlich gestiegen ist: Manche Chemikalien wie Salzsäure sind seit Anfang 2022 um über 500 % teurer geworden. Allerdings ist die Lage inzwischen wieder etwas besser. Auch bei Metallen waren ähnliche Preissprünge mit anschließender weitgehender Beruhigung zu beobachten.

Derweil bleibt die Lage auf dem Chemikalienmarkt angespannt: Große Chemiefirmen ziehen Teile ihrer Produktion aus Deutschland wegen hoher Energiekosten ab, was zum Teil zu neuen Engpässen führt. Die großen Player, die sich Verlagerungen leisten können, reagieren damit aber auch auf die Regulationen der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), die den bürokratischen Aufwand steigern und durch erschwerte Produktionsbedingungen die Kosten treiben.

Die Reaktion der großen Firmen drückt auf die Stimmung. Schließlich sind kleine und mittelständische Unternehmen auf den Heimatmarkt angewiesen und können sich vor der Regulation aus Helsinki und Brüssel nicht drücken. Durch die Annullierung des CTAK-Autorisierungsantrags von Chromtrioxid ist die Stimmung – insbesondere bei Verchromern – aktuell auf einem Tiefpunkt. Wie es hier weitergeht ist derzeit unklar.

Mit Blick auf die Zukunft der energieintensiven Industrien stimmen auch neueste Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) nachdenklich. Die IEA beobachtet den Stromverbrauch in Europa. Weltweit steigt er, aber in Europa sinkt er seit einiger Zeit, zuletzt um 6 %, was der Agentur zufolge überwiegend Folgen von Werksschließungen und Produktionsdrosselungen in der energieintensiven Industrie sind. Betroffen sind insbesondere Aluminiumhütten, Stahlwerke sowie Papier- und Chemie­fabriken.

Europa ist heute Nettoimporteur von Chemikalien – und das, obwohl die Chemieindustrie in Deutschland zu den größten Branchen gehört und z. B. in der Region zwischen Düsseldorf und Köln riesige meilenweit sichtbare Anlagen betreibt, die vor Kurzem noch zu einer gewissen Autarkie des europäischen Kontinents bei Chemikalien beigetragen haben. Die ist nun offenbar weg und die IEA folgert denn auch, dass die Zukunft der energieintensiven Industrie an einem Scheideweg steht. Die Agentur schlägt verschiedene Optionen vor, von denen hier nur jene genannt werden soll, die offenkundig von der Bundesregierung verfolgt wird und damit die Zielrichtung der aktuellen Industriepolitik vorgibt: Die Förderung einer „grünen Schwerindustrie“, die im Einklang mit den Klimazielen steht, aber erhebliche Kosten nach sich zieht.

Grüne Industrie: mutige Vision oder naiver Traum?

Eine „grüne Industrie“, versorgt überwiegend von Erneuerbarer Energie aus Wind, Sonne und Wasserstoff, ist für die einen eine vielversprechende Zukunftsvision, für die anderen ein naiver Traum, der nicht mit einer leistungsfähigen Industrie in Einklang gebracht werden kann. In der Forschung und Entwicklung herrscht in Bezug auf grüne Technologien derzeit jedenfalls ein regelrechter Boom, denn das Fördergeld sitzt locker und Investitionen in Wasserstoff nehmen „galaktische“ Ausmaße an, wie ein branchennaher Wissenschaftler beobachtet hat.

Der Anteil erneuerbarer Energien in Deutschland wächst derweil ständig weiter. Kürzlich hat er fast 58 % betragen. Als entscheidende Faktoren, um die Energiewende zu stemmen, gelten Speichermedien. So müsste überschüssige, erneuerbare Energie nicht unter Wert an Nachbarländer verschachert werden, sondern könnte gespeichert und flexibel eingesetzt werden. Hier jagt eine Entwicklung die nächste und es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis geeignete Speichertechnologien verfügbar sind.

Auch bei der Entwicklung einer klimaneutralen Wasserstoffinfrastruktur gibt es bei allem Stirnrunzeln wegen der Größe der Herausforderung positive Neuigkeiten, denn ein guter Teil der vorhandenen Infrastruktur kann relativ einfach umgebaut werden. Dennoch: Elektrifizierung und die Eigenproduktion von erforderlichem Methanol und Wasserstoff in Deutschland würden den Strombedarf hierzulande versechsfachen, wie Matthias Schimmel, Experte für Dekarbonisierung und Wasserstoff in der Zeitschrift „Nachhaltige Industrie“ vorrechnet. Dieses Ziel zu erreichen, scheint fast unmöglich. Erwogen werden eher neue Partnerschaften z. B. mit Nordafrika, um mittels Sonnenenergie grünen Wasserstoff zu erzeugen und dann nach Europa zu verschiffen. Die Entwicklung ist im Fluss. Der aktuelle Rahmen biete den emissionsintensiven Industriebran­chen noch keinen Anreiz für einen breiten Einsatz klimafreundlicher Technologien, schreibt Schimmel. Er mahnt auch die Notwendigkeit der zügigen Anpassung der regulatorischen Rahmenbedingungen an.

Bei allen Unkenrufen winkt Deutschland und Europa aber auch ein großer Preis, wenn die Transformation von Industrie und Wirtschaft erfolgreich gelingt: Billigere Energie, eine gewisse Energieautarkie und bei einer Steigerung des Recyclinganteils auch ein Abbau von Abhängigkeiten bei den Rohstoffen. Das dürfte die Unternehmen auf dem globalen Markt resilienter und wettbewerbsfähiger machen – wenn sie auf dem Weg dahin nicht auf der Strecke bleiben.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Ministerium die Anfrage nach einem Statement zu den industriellen Rahmenbedingungen in der Zeitschrift Galvanotechnik übrigens abgelehnt hat, hat das Jahr 2023 zum Jahr der Industrie erklärt. Eine gute Gelegenheit für sein Ministerium, um die von Schimmel eingeforderten angepassten Rahmenbedingungen für die energieintensive Industrie anzugehen. Ein Industriestrompreis mag ein Teil der Antwort sein. Auf die Befürchtungen mittelständischer Unternehmen der Branche, die möglicherweise nicht in den Genuss des subventionierten Preises kommen, muss allerdings ebenfalls eingegangen werden. Und es muss begonnen werden, Produktions- und Investitionssicherheit in der Branche wiederherzustellen. Denn die Transformation von Gesellschaft, Wirtschaft und Industrie ist ein faszinierendes Projekt, das die kommende Generation übrigens durchaus begeistert, wie die gestiegenen Studienzahlen in naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen zeigen. Zuversicht oder Zweifel?

Wenn Sie mich fragen, bietet der eingeschlagene Weg neben hohen Risiken auch große Chancen – auch für die Galvano- und Oberflächentechnik, ohne die ein sehr großer Teil der technischen Lösungen für die Zukunft nicht möglich sein wird.

– Robert Piterek –